1. AUGUST 1858 – NÜRNBERG
    Es war ein sommerlicher Donnerstag im Jahre 1858 in Nürnberg-Schweinau. In der Stadt herrschte reges Treiben. Bereits seit 1835 verkehrte die Eisenbahn „Adler zwischen Nürnberg und Fürth und läutete die industrielle Revolution im Großraum Nürnberg ein. Außerhalb der alten Nürnberger Stadtmauern siedelten sich mehr und mehr große Industrieunternehmen an. Insbesondere die Spielwaren- und Modelleisenbahnindustrie sollte sich in Nürnberg noch als wahre Goldgrube herausstellen.

    Damit fing alles an. Dieser Donnerstag im August 1858 sollte für Adam Hook alles verändern. Er hatte in seinem Anwesen in Schweinau seine erste „Goldene Glocke“ gegossen. Mit dieser Erfindung wollte er die gerade aufstrebende Spielwaren- und Modelleisenbahnindustrie revolutionieren. Doch plötzlich passierte in der folgenden Nacht das Unerwartete.

    Leonardo da Snow White, schlenderte gemütlich südlich der Nürnberger Stadtmauern gen St. Leonhard – Schweinau. Er hatte einen Tipp von Graf Bing bekommen und wusste genau, dass Adam Hook an diesem Abend nicht zuhause sein würde. Leonardo war seinerzeit bekannt auf dem europäischen Kontinent. Er verdiente sein Einkommen viele Jahre lang mit Spezial-Aufträgen für Großindustrielle Firmen. Leonardo war „Beschaffer“ von allem, was für andere unmöglich zu beschaffen war. Er stahl Ideen, Innovationen und eben die entsprechenden Pläne und Produkte dazu. Sein Beschaffungsplan für die heutige Nacht war einfach und genial zugleich. Der Schlüssel zur „Goldenen Glocke“ war eine Frau.

    Sie trafen sich in der „Alten Lilie“, einem kleinen Gasthaus in St. Leonhard. Anita Zimmer war aufgeregt, denn es war ihr erstes Treffen mit Leonardo. Sie pflegten bereits seit drei Monaten eine gemeinsame Brieffreundschaft. Anita Zimmer war beruflich als Haushälterin für Adam Hook tätig und hatte sich extra für diesen Abend frei genommen.

    Leonardo öffnete die Tür des Gasthauses und betrat den Raum. Die Luft war stickig und verraucht.
    1858 gab es noch kein Rauchverbot in Nürnbergs Gasthäusern. Leonardo setzte sich an einen Tisch im hinteren Teil des Raumes, zündete sich genüsslich eine Zigarre an und wartete eine halbe Stunde. Die Zigarre war das Erkennungszeichen für Anita. Draußen wurde es derweil schon dunkel.

    „Hallo. Ich bin Anita. Ich freue mich, dich endlich zu treffen Leonardo“, sagte Anita, als sie sich an den Tisch zu Leonardo setzte. „Gleichfalls“, antwortete Leonardo. „Endlich können wir uns sehen. Auf diesen Moment habe ich so lange gewartet. Wollen wir gemeinsam eine Flasche Wein genießen?“.
    „Ja, sehr gerne“, antwortete Anita.
    „Noberto, bitte bringe uns eine Flasche von deinem besten Wein. Und serviere uns dein bestes Essen.“ sagte Leonardo zum Kellner. „Sehr wohl mein Herr“, antwortete Noberto.

    Sie aßen feinen Braten, tranken lieblichen Wein und unterhielten sich lange über Nürnberg, diese schöne Stadt in der Mitte Europas. Leonardo erzählte viel von seinen Reisen durch die europäischen Metropolen. Paris, London, Rom oder Mailand – Leonardo war schon viel herumgekommen in seinem Leben.
    Anita war bereits von dem vielen Wein angetrunken. „Leonardo, lass uns endlich gehen“, sagte sie. „Das ist eine gute Idee. Darf ich dich noch nach Hause begleiten?“, antwortete Leonardo.
    Anita zögerte. „Ich weiß nicht? In Ordnung, aber nur bis zu meiner Haustür. Mein Hausherr ist heute Nacht nicht zu Hause.“
    Leonardo bezahlte die Zeche und beide verließen Arm in Arm das Gasthaus „Alte Lilie“. Sie gingen Richtung Schweinau zum Hinteren Markt. Nach zehn Minuten erreichten sie das Haus von Adam Hook.
    „Ich würde gerne noch mit hinein kommen“, sagte Leonardo und blickte Anita dabei tief in die Augen. „Ich weiß nicht, ob das in Ordnung ist“, zweifelte Anita. Doch letztendlich bat sie Leonardo ins Haus. Sie betraten den großen Saal und setzten sich auf die Couch. Anita wurde plötzlich sehr müde und schlief ein. Das Schlafmittel, das Leonardo in Anitas Wein mischte begann zu wirken.

    Jetzt war der richtige Moment. Leonardo hatte nicht viel Zeit. Er stand auf und ging auf direkten Weg in den Keller des Anwesens. Dort vermutete er den Arbeitsraum von Adam Hook. Er entriegelte die Tür und trat ein. Was er dort zu sehen bekam, raubte ihm fast den Atem. Dort stand sie, die Glockengießer- Anlage – das Gold in der Anlage beachtete Leonardo gar nicht. Er ging zielstrebig zu Adam Hooks Arbeitstisch, betätigte den geheimen Knopf, der schließlich einen versteckten Hohlraum des Tisches öffnete.
    Da lag sie. Die erste „Goldene Glocke“, von Adam Hook. Sie war etwa 30 cm hoch und war reichlich mit Diamanten und Smaragden verziert. Leonardo nahm gerade die Glocke an sich und verstaute sie in seinem Beutel, als er ein Geräusch hörte.

    Adam Hook ritt gerade mit seinem Pferd in den Innenhof seines Anwesens. Er wunderte sich, wieso im großen Saal noch Licht brannte. ‚Was ist den hier los‘, fragte sich Adam. Er öffnete die Tür und sah Anita schlafend auf der Couch liegen. Die Tür zum Keller stand offen. Plötzlich wurde es ihm klar, was hier gerade passierte. Er rannte die Treppe zum Keller hinunter zu seinem Arbeitsraum. Die Tür stand auch offen. Er ging hinein, hörte ein Geräusch und plötzlich wurde ihm schwarz vor seinen Augen.

    Leonardo reagierte blitzschnell und versteckte sich hinter der Türe. Als Adam den Arbeitsraum betrat, stülpte Leonardo ihm einen Sack über den Kopf und rannte anschließend mit seiner Beute die Kellertreppe hinauf.

    Adam, war kurzweilig irritiert. Er zog sich den Sack vom Kopf und rannte Leonardo hinterher. „Halt, stehenbleiben rief Adam. „Bleiben Sie sofort stehen.“

    Leonardo rannte durch den großen Saal, hinaus auf den Innenhof. Dort stand Adams Pferd. Leonardo überlegte nicht lange. Er schnappte sich das Pferd und ritt in Richtung St. Leonhard davon. Hinter sich hörte er, wie Adam schrie.

    Leonardo hatte keine Zeit zu verlieren. Aus der Stadt hinausreiten konnte er nicht. Um diese Zeit gab es häufig Überfälle und Räubereien und die bayerischen Garden sicherten den Großraum Nürnberg und die Straßen entsprechend ab. Also entschied sich Leonardo für den Weg in die Innenstadt. Als er die Kirche in St. Leonhard erreichte, stieg er von seinem Pferd und verscheuchte es. Er musste unbedingt ein sicheres Versteck für die „Goldene Glocke“ finden und hatte eine Idee.

    Gerade als Leonardo das Versteck zufrieden verließ, hörte er überall in der Nähe die Trillerpfeifen der bayerischen Garden. Sie suchten ihn.
    Er ging langsam durch die dunklen Gassen. Zurück zum Gasthaus „Alte Lilie“ konnte er nicht. Anita würde ihn verraten.

    Er entschied sich zunächst außerhalb der Stadt unterzutauchen. Zunächst wollte Leonardo ein paar Tage vergehen lassen und erst zu einem unbekannten Zeitpunkt zum Versteck der „Goldenen Glocke“ zurückkehren.

    Leonardo verschwand im Dunkeln.